EU Fischereimanagement entspricht trotz Frist bis 2020 noch immer nicht wissenschaftlichen Empfehlungen

Auswertung zeigt, dass Minister mehr für die Beendigung der Überfischung tun müssen

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EU Fischereimanagement entspricht trotz Frist bis 2020 noch immer nicht wissenschaftlichen Empfehlungen

Nach Jahrzehnten der Überfischung und einer ineffektiven Fischereipolitik beschlossen das Europäische

Parlament und die Regierungen der damaligen 28 EU-Mitgliederstaaten 2013 eine weitreichende Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU. Die Ziele: Nachhaltigkeit der Fischerei durch Festlegung von Zielen zur Wiederherstellung der Bestände, Erhaltung gesunder Ökosysteme sowie Sicherstellung einer stabilen und rentablen Fischerei für die EU-Flotte.

Laut GFP waren die Minister dazu verpflichtet, nachhaltige Befischungsquoten einzuführen, und zwar „soweit möglich bis 2015, und unter allen Umständen schrittweise für alle Bestände bis spätestens 2020“.1 Nun, da die Frist zur Beendigung der Überfischung im Jahr 2020 verstrichen ist, stellt sich die Frage, ob diese Ziele tatsächlich erreicht wurden und ob die Fischereiminister eines der wichtigsten Instrumente der GFP – die Festlegung zulässiger Gesamtfangmengen (TACs) auf den Tagungen des Rates für Landwirtschaft und Fischerei (AGRIFISH) – tatsächlich verantwortungsvoll einsetzen.

Brexit

Der Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Januar 2020 hat beispiellose Veränderungen für die Bewirtschaftung der Fischbestände im Nordost-Atlantik mit sich gebracht.2

Ein beträchtlicher Teil der Fischgründe, die zuvor der GFP unterlagen, unterstehen jetzt Großbritanniens Ausschließlicher Wirtschaftszone. Großbritannien wird in Zukunft nicht mehr an den jährlichen Tagungen des Rates für Landwirtschaft und Fischerei (AGRIFISH) teilnehmen, sondern separate Verhandlungen mit der EU und anderen Küstenstaaten führen, mit denen es gemeinsame Bestände bewirtschaftet (wie z. B. Norwegen, das ebenfalls kein EU-Mitglied ist).3

Jeglicher neue gemeinsame Bewirtschaftungsrahmen sollte auf Nachhaltigkeit und den bestmöglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Zusätzlich sollten diese internationalen Verhandlungen transparent und unter Einbeziehung aller Interessenvertreter bei Vorschlägen und Entscheidungen erfolgen.

Laut offiziellen Zahlen ist der fischereiliche Druck noch immer zu hoch

Der Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschuss für Fischerei (STECF) der EU-Kommission analysiert jedes Jahr den fischereilichen Druck im Nordostatlantik und vergleicht ihn mit den gemäß GFP erlaubten Werten. Die Beobachtungen des Ausschusses ergeben weiterhin, dass ein großer Teil der Bestände über das zulässige Maß hinaus befischt wird.

Die Daten für andere Regionen sind noch beunruhigender. Im Mittelmeer ist die große Mehrheit der Bestände überfischt.4

Pew-Analyse zeigt: Fangmengen sind trotz der Frist 2020 weiterhin zu hoch

Seit Inkrafttreten der reformierten GFP im Jahr 2014 vergleicht The Pew Charitable Trusts alljährlich die Entscheidungen der Fischereiminister5 über die Fanggrenzen im Nordostatlantik mit den verfügbaren wissenschaftlichen Empfehlungen. Auch wenn der Anteil der die Empfehlungen überschreitenden Fanggrenzen in den letzten Jahren rückläufig war, ist es der EU nicht gelungen, die von der GFP gesetzte Frist zur Beendigung der Überfischung bis 2020 einzuhalten. Tatsächlich lagen 2020 mehr Fanggrenzen oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen als 2019 (48 % gegenüber 42 %).

Wie unsere Analyse zeigt, wird das wichtigste verfügbare Instrument zur Korrektur des nachweislich übermäßigen fischereilichen Drucks – die Festsetzung der TACs – so eingesetzt, dass es eine fortgesetzte Überfischung zulässt. Die Entscheidungen der EU-Manager haben dazu geführt, dass die GFP-Ziele und die Frist für 2020 verfehlt wurden.

Vorsorgeansatz gegenüber höchstmöglichem Dauerertrag

Die Gemeinsame Fischereipolitik der EU fordert einen Vorsorgeansatz beim Fischereimanagement, wie im internationalen Fischereiabkommen der Vereinten Nationen für gebietsübergreifende und weitwandernde Fischbestände (United Nations Fish Stocks Agreement, UNFSA) definiert. Die GFP bestimmt außerdem, dass die Entscheidungen über Bewirtschaftungsmaßnahmen (einschließlich der Fanggrenzen) den besten verfügbaren wissenschaftlichen Gutachten entsprechen sollen.6

Der Vorsorgeansatz erfordert eine vorsichtigere Entscheidungsfindung, insbesondere dann, wenn wissenschaftliche Daten zum höchstmöglichen Dauerertrag (MSY) fehlen oder unsicher sind. Der MSY bezieht sich auf den größten durchschnittlichen Ertrag (oder Fang), der einem Bestand theoretisch auf Dauer durchschnittlich entnommen werden kann, ohne dessen Größe langfristig zu verringern. Gemeinsam können diese Ansätze gesunde Fischbestände gewährleisten.7

Wissenschaftliche Gutachten des Internationalen Rats für Meeresforschung (International Council for the Exploration of the Sea, ICES) berücksichtigen die Anforderungen des UNFSA und bieten einen Rahmen für wissenschaftliche Empfehlungen zu Fanggrenzen nach dem Vorsorgeansatz in Fällen, wo nur begrenzte Daten vorliegen und der Status der Bestände im Hinblick auf das Erreichen des MSY ungewiss ist.

Eine Pew-Analyse der für 2020 festgelegten TACs deckt eine größere Anzahl an Beständen ab als der Bericht des STECF, darunter auch solche ohne MSY-Schätzungen. Der Bericht zeigt, dass

  • 62 (48 %) aller 129 TACs – für die Ostsee, die Tiefsee und den Nordostatlantik – oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen lagen.
  • bei einem großen Teil der TACs, die oberhalb der Empfehlungen lagen (43 von den erwähnten 62),die Empfehlungen auf dem Vorsorgeansatz des ICES für Bestände beruhten, für die nur begrenzte Daten vorliegen. Diese Kategorie von Empfehlungen wird seltener eingehalten als die umfang- reicheren Gutachten.

Nur langsame – oder nicht bekannte – Fortschritte  bei der Bestandserholung

Dieses Muster einer unzureichenden Umsetzung wiederholt sich in der Nichterreichung der Bestandserholungsziele der GFP und wird durch mangelnde offizielle Informationen über Fortschritte bei diesen Zielen noch verschärft. Dies wird besonders hier deutlich:

  • Nur von sehr wenigen Beständen weiß man, dass sie das vom EU-Recht geforderte Erholungsniveau erreicht haben.8 Ein 2017 von The Pew Charitable Trusts in Auftrag gegebener Bericht – „Taking Stock – Bestandsaufnahme9 – kam zu dem Schluss, dass 24 bis 56 % der Bestände weiterhin unterhalb der von der GFP geforderten Werte lagen.
  • Die Kommission berichtet jährlich10 darüber, wie dieses Ziel erreicht wird, verwendet aber veraltete Vergleichswerte der vorherigen GFP (2002) – beispielsweise die Anzahl von Bestandsdaten innerhalb und außerhalb sicherer biologischer Grenzen von 2003 –, anstatt sie mit den von der aktuellen GFP vorgeschriebenen Werten zu vergleichen. Dies erschwert die Überprüfung der bei der Erreichung derGFP-Ziele gemachten Fortschritte.

Die wichtige Rolle der EU-Kommission

Zusätzlich zu der Berichterstattung über Fortschritte und zu anderen wichtigen Rechtsakten ist die Kommission dafür zuständig, im Rahmen der GFP alljährlich Fanggrenzen vorzuschlagen. Der Kommissar und seine Kolleginnen und Kollegen nehmen auch am Ratsprozess teil, indem sie die Minister bei der Einigung auf Fangmengen unterstützen. Damit eine Einigung zustande kommt, passen sie die eigenen Vorschläge oftmals an.

Die Kommission kann die Minister zu einem verantwortungsvollen Fischereimanagement hinführen, indem sie Fanggrenzen vorschlägt, die mit den wissenschaftlichen Empfehlungen übereinstimmen. Stattdessen schlägt die Kommission jedoch oft Fanggrenzen vor, die über die veröffentlichten wissenschaftlichen Gutachten hinausgehen, ohne vollständig darzulegen, wie sie zu diesen Werten gekommen ist. Laut der Kommission beruhen ihre Vorschläge auf Daten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES), aber de facto liegen die vorgeschlagenen Fangmengen regelmäßig oberhalb der ICES-Empfehlungen. Insgesamt hat sich der Anteil der über die wissenschaftlichen Empfehlungen hinausgehenden Fanggrenzen im Laufe der Zeit bis 2020 verringert: Derzeit liegen 44 % der angegebenen Fanggrenzen oberhalb der Empfehlungen. Viele davon sind für Bestände ohne MSYEmpfehlungen, bei denen auf dem Vorsorgeansatz beruhende wissenschaftliche Empfehlungen befolgt werden sollten.

Transparenz im Entscheidungsprozess des Rates

Die mangelnde Transparenz beim Zustandekommen des Kommissionsvorschlags wird noch durch die Undurch- sichtigkeit des Prozesses überschattet, dem die Fischereiminister der mittlerweile 27 EU-Mitgliedstaaten bei der Entscheidungsfindung im Rat folgen. Selten legen die Minister Fangmengen unterhalb der von der Kommission vorgeschlagenen Werte fest, sondern erhöhen vielmehr die Fanggrenzen häufig über die von Wissenschaftlern als nachhaltig empfohlenen Werte hinaus. Diese Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen im Ratsgebäude getroffen – oftmals in bis tief in die Nacht gehenden Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und mit zu geringer oder gar keiner Rechtfertigung zu hoher Fanggrenzen. 2016 stellte Transparency International eine Untersuchung der Entscheidungsfindung des Rates11 bezüglich der Fangmengen an und empfahl wesentliche Verbesserungen, von denen nur sehr wenige umgesetzt wurden.

Und im Mai 2019 kündigte die Europäische Bürgerbeauftragte – eine unabhängige und unparteiische Instanz, die die Organe und Einrichtungen der EU zur Rechenschaft zieht – im Zusammenhang mit den „berühmten NachtSitzungen“ der Minister zur Festlegung der Fanggrenzen eine Untersuchung12 zur mangelnden Transparenz an. Nachdem sie Vorschläge für mehr Transparenz bei der Festlegung der Fanggrenzen unterbreitet hatte, bestätigte die Bürgerbeauftragte schließlich im April 2020 die Vorwürfe der Misswirtschaft13 und äußerte sich enttäuscht darüber, dass die Entscheidungsfindung des Rats gegen grundlegende demokratische Standards verstieß.

Gründe für die Beendigung der Überfischung

Trotz dieser Hindernisse und des Unvermögens, die Frist bis 2020 einzuhalten, müssen sich alle Parteien weiter für das Erreichen der GFP-Anforderungen einsetzen. Ein nachhaltiges Fischereimanagement ist gut für die Fischbestände, die Meeresumwelt, die Arbeitsplätze, die Gewinne der Fischindustrie, die Ernährungssicherheit und die Verbraucher. Die EU-Entscheidungsträger waren und sind rechtlich zur Beendigung der Überfischung verpflichtet und verfügen über die dazu erforderlichen Instrumente. Es ist nicht zu spät. Aber um Europas Fischbestände für kommende Generationen zu bewahren, müssen sich die Verantwortlichen an die wissenschaftlichen Empfehlungen halten.

Quellen

  1. Europäische Union, „Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über die Gemeinsame Fischereipolitik, Änderung der Ratsverordnungen (EG) Nr. 1954/2003 und (EG) Nr. 1224/2009 und Aufhebung der Verordnungen des Rates (EG) Nr. 2371/2002 und (EG) Nr. 639/2004 und Beschluss des Rates 2004/585/EG“, Amtsblatt der Europäischen Union L 354, 28.12.2013 (2013): 22–61, http://data.europa.eu/eli/reg/2013/1380/oj.
  2. BBC, „Brexit: UK Leaves the European Union“, 1. Februar 2020, https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-51333314.
  3. R. Doering et al., „Im Auftrag des Fischereiausschusses durchgeführte Studie – Gemeinsame Fischereipolitik und Brexit“ (2017), http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2017/601981/IPOL_STU%282017%29601981_DE.pdf.
  4. Die Europäische Kommission, „Mediterranean Sea“, abgerufen am 1. Juli 2020, https://ec.europa.eu/fisheries/cfp/mediterranean_en.
  5. The Pew Charitable Trusts, „Analysis of Fisheries Council Agreement on Fishing Opportunities in the North-East Atlantic for 2020“ (2020), https://www.pewtrusts.org/-/media/assets/2020/05/080520_analysis_of_fisheries_council_agreement_on_fishing_opportunities_in_the_nea_for_2020.pdf?la=en&hash=BC14BCD5CD129EF3BD6759654F896C7E7C4F2F50.
  6. Europäische Union, „Verordnung (EU) Nr. 1380/2013“.
  7. ICES, „Ratschlagsgrundlage“. In „Report of the ICES Advisory Committee, 2019. ICES Advice 2019, Section 1.2“ (2019), https://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2019/2019/Introduction_to_advice_2019.pdf.
  8. Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschuss für Fischerei (STECF), „Überwachung der Leistungen der Gemeinsamen Fischereipolitik (STECF-Adhoc-20-01)“ (2020), https://stecf.jrc.ec.europa.eu/documents/43805/55543/STECF+20-01+adhoc++CFP+monitoring.pdf/48236157-f020-4494-bb93-5fe894630dcd.
  9. Poseidon Aquatic Resource Management Ltd., „Taking Stock – Progress Towards Ending Overfishing in the EU“ (2017), https://www.consult-poseidon.com/fishery-reports/Poseidon_Taking_Stock_2017.pdf.
  10. Europäische Kommission: „MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Fischerei in der EU: Sachstand und Leitlinien für 2021“, COM/2020/248 final, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/?uri=COM:2020:248:FIN.
  11. Y. Bendel, „Overfishing in the Darkness“ (Transparency International, 2016), https://transparency.eu/wp-content/uploads/2016/10/2109-2016-Fishing-report-web.pdf.
  12. Europäische Bürgerbeauftragte, „Ombudsman Triple Investigation: Opaque National Government EU Decision Making,“ Pressemitteilung, Mai 2019, https://www.ombudsman.europa.eu/de/press-release/en/109910.
  13. Europäische Bürgerbeauftragte, „Council Fails to Accept Ombudsman’s Recommendation for Transparency in EU Fishing Quota DecisionMaking Process“, Pressemitteilung, April 2020, https://www.ombudsman.europa.eu/de/case/en/54526%3Futm_source%3Dsome_EO&utm_medium%3Dtw_organic&utm_campaign%3Dfishingquotas.
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